Empathie mit dem Mensch-sein: Gegen das Vergessen
Ach was vergessen wir nicht alles! Die unglaubliche Aufgabenvielfalt bringt unser Gehirn manchmal dazu (scheinbar unaufgefordert), Termine und To-dos auszusortieren. Vielleicht um annähernd den Überblick behalten zu können. Wir vergessen nicht nur, was wir aus dem Keller holen wollten, oder den Einkaufszettel zu Hause. Ich schreibe heute über eine ganz andere Art des Vergessens.
Wir vergessen immer wieder unser Mensch-Sein. Und wann fällt es uns auf? Wenn wir selbst betroffen sind und die Freiheiten unseres Lebens in Gefahr sind.
- Wir vergessen, wofür es sich einzusetzen lohnt.
- Wir vergessen, wofür es wichtig ist, einzustehen.
- Wir vergessen, wo unsere Kraft wirklich gebraucht wird und welche Aufgabe wir erfüllen sollten.
Das Vergessen ist der Schatten, den die Sonne mit sich bringt
Wenn ich WIR schreibe, schließe ich mich mit ein. Dies ist kein Fingerzeig auf andere. Dies ist eine Erinnerung an uns alle, Mensch zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Denn solange uns die Sonne ins Gesicht scheint, sind wir dazu geneigt (und ja, das ist auch eine wichtige Funktion unseres Gehirns, um Entspannung und Erholung zu finden), alle Annehmlichkeiten zu genießen und den Schatten, der hinter uns fällt zu vergessen.
Eine Ode des Vergessens
Ich schreibe von all den Dingen, die es wert sind, beachtet zu werden, die schon einmal wichtig waren, an die gleichzeitig nur sehr wenige von uns noch denken.
Ich schreibe eine Ode des Vergessens
Für alle Flüchtlinge, die in Lagern verharren. Die geschwächt und traumatisiert sind.
Ich schreibe eine Ode des Vergessens
Für alle Menschen, die in diesem regnerischen Sommer alles verloren haben.
Ich schreibe eine Ode des Vergessens
Für unsere (Ur-)Wälder und die Meere. Mit ihrer unvergleichlichen Schönheit. Die mit ihrer Energie Jahrtausende dafür gesorgt haben, dass wir bei ihnen Erholung finden. Die jetzt geschwächt sind vom Klimawandel und der Umweltverschmutzung.
Ich schreibe eine Ode des Vergessens
Für alle Menschen folgender Berufsgruppen: Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten, Feuerwehren, Ambulanzen und Sanitäter (und alle diejenigen, die in ihrer Kraft genauso für unser aller Wohl sorgen).
All das scheinen wir vergessen zu haben. Denn nachdem wir uns versichert hatten, dass bei uns selbst alles in Ordnung ist und auch das soziale Leben einigermaßen wieder laufen kann, war unsere eigene Angst wieder weg.
Gott sei Dank! Diese schreckliche Verlustangst!
Die Angst verbindet uns – zumindest scheint es so.
Doch diese Angst vor Verlust hat uns miteinander verbunden. Sie hat uns durchlässig und empfänglich gemacht für Empathie. Sie hat dafür gesorgt, dass Menschen sich die Zeit nehmen und für Berufsgruppen klatschen, die für alle wichtig sind/ gewesen sind/ werden könnten. Das hat unsere Gesellschaft dazu gebracht aufzustehen und Solidarität zu zeigen. Oder war es gar keine Solidarität? War das etwa keine Empathie?
Empathie als Ablenkungsmanöver
War es vielleicht nur der Dank und das Aufatmen dafür, selbst nicht in der ersten Reihe stehen zu müssen? Die Infanterie wurde nach vorne geschickt. Und selbstverständlich wurde für diese Helden der Nation geklatscht. Nein, nicht nur das! Sie bekamen auch Lunchpakete! Und damit nicht genug! Sie haben uns tatsächlich in großer Not geholfen. Das ist schon einen Einmalbonus wert! Ach ja! Und weil die Kavallerie gar nicht zum Einsatz kommen musste, sind alle wieder zurück in ihr Kämmerlein und haben…vergessen.
Vergessen, dass die Helden der Epidemie weiterarbeiten.
Dass die Helden der Epidemie schon vor der Epidemie heldenhaft gearbeitet haben.
Vergessen, dass diese Helden schon lange unterbezahlt und unter großem Stress gearbeitet haben, arbeiten und arbeiten werden.
Wichtig ist ja nur, dass diese Helden da sind, wenn man selbst ins Krankenhaus gehen muss. Und da allgemein bekannt ist, dass diese Berufsgruppen ihren Beruf per se so sehr lieben und als Berufung empfinden, kann man sich schon drauf verlassen, dass alle weiter ihrer Arbeit nachgehen.
Das große Vergessen. Das Vergessen, dass die Helden der Epidemie langfristig mehr Gehalt verdienen sollten. Dass es uns allen nur dann in Krankheit gut gehen kann, wenn sich Menschen um uns kümmern, die entspannt und empathisch und glücklich ihrer Arbeit nachgehen können. Das sollte unser oberstes Gebot sein! Denn wir haben vergessen, dass wir in Gesundheit zuerst für das Wohl derer sorgen sollten, die dafür sorgen, dass wir gesund werden können, wenn wir krank werden. Es ist ein Geben und Nehmen. So funktioniert eine empathische und füreinander sorgende Gesellschaft.
Die Pandemie als Weckruf gegen das Vergessen
Die Pandemie hat in uns Ängste geschürt. Zum Beispiel die Angst vor dem Lebensende. Ob für einen selbst oder das eines geliebten Menschen. Das war DIE Chance für Empathie. Und das nicht nur über den Gartenzaun hinweg, sondern global! Eine Empathie die uns alle verbindet. Eine Empathie des Zusammenstehens.
Denn zu Beginn der Pandemie war diese Angst in uns allen gegenwärtig. Von heute auf morgen war alles stiller als wir es je zuvor gekannt haben. Und die Angst hat sich in uns breit gemacht. Das hat uns empfänglich gemacht für alle Sorgen, die Flüchtlinge – nein, dieses Wort möchte ich nicht benutzen. Es ist mittlerweile zu abgenutzt und selbstverständlich geworden. Die Angst hat uns alle Sorgen der Menschen verstehen lassen, denen mehr als nur Toilettenpapier fehlt. Sie besitzen nicht mal eine Toilette! Sie haben Partner verloren, Kinder allein wegschicken müssen. Sie haben ihr Haus verloren. Sie finden sich wieder in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen. Sie wissen nie, wie ihr morgen aussehen wird. Genauso ging es uns Anfang 2021. Da wussten wir auch nicht, wie unser morgen aussehen könnte. Das war die Chance, um Verbundenheit, Mitgefühl, ja Empathie zu entwickeln.
Wir haben es leider vergessen. Wieder einmal sehr schnell.
Was wir noch vergessen haben
Wir haben vergessen, dass die Erde, auf der wir wohnen, eine Krankheit hat. Sie heißt Mensch. Wir haben vergessen, dass das was Heilung bringen kann, vom Menschen ausgeht. Man nennt es Empathie. Echte Empathie.
Nicht die Empathie, die Menschen sorgenvoll zu den Waldbränden nach Mexiko, USA und Australien sehen und klatschen lässt, wenn dort Feuerwehrleute ihr Leben riskieren, um die Brände zu löschen.
Empathie, echte Empathie ist anstrengend. Sie kostet Kraft. Sie kostet Zeit. Die meiste Zeit für Empathie geht dafür drauf, gegen das Vergessen anzukämpfen. Sich aktiv dafür stark zu machen, nicht zu vergessen.
Nicht zu vergessen, dass unser eigener Schmerz nie zu lösen ist, indem wir anderen Menschen Schmerzen zufügen.
Nicht zu vergessen, dass der Mensch, der uns gegenübersteht, immer der wichtigste ist.
Nicht zu vergessen, dass wir am Ende nichts mitnehmen werden, jedoch alles hinterlassen.
Nicht zu vergessen, dass sich das Rad immer dreht. Der der heute oben steht, kann morgen ganz unten sein und dankbar, wenn er Hilfe von oben bekommt.
Nicht zu vergessen, dass wir (so Gott will) alt werden und nach und nach immer mehr vergessen. Und dass das Vergessen meist aus Scham vor dem eigenen Leben entsteht.
Vergeben ist das neue Vergessen
Meine Vision ist es, gegenseitig zu vergeben. Es ist, wie es ist.
Es ist nicht alles gut. Gleichzeitig ist auch nicht alles schlecht.
Sich entscheiden zu vergeben, ist nicht gutheißen, was passiert ist, sondern Frieden zu finden. Das Leben wird so viel leichter, sobald wir aufhören, uns zu beschweren. Vergebung ist heilsam. Um dann aus der eigenen Kraft für alles das einzustehen, was unser Leben bereichert. Dazu gehören kann z. B. ein gesunder Körper, eine liebende Familie, verbundene Freunde, eine intakte Natur zum Erholen und das Hinterlassen einer empathischen Welt für unsere Kinder.
Kannst du dir eine Gesellschaft vorstellen, in der Empathie als hohes Gut geschätzt wird? In der mit Leichtigkeit aus der eigenen Kraft heraus alle füreinander einstehen? Wohl wissend, dass wir alle Fehler machen und dass es nie zu spät für Vergebung ist. Wohl wissend, dass jedes Bestreben für sich und für andere glücklich macht.
Echte Empathie für mich und für dich.
Echte Empathie gegen das Vergessen.
Echte Empathie für das Vergeben.
Echte Empathie für alle Herausforderungen, die noch vor uns liegen.
Echte, ehrliche Empathie gefällig? Ich teile gerne! Schreibe eine Mail für empathischen Kontakt.
Die Autorin:
Manuela Amann ist ausgebildete Therapeutin und Trainerin für emotionale Intelligenz. Sie zeigt Unternehmen und Einzelkämpfern, wie komplexe Herausforderungen im (Berufs-) Alltag bewältigt werden, um gestärkt hervorzugehen. Mit erfrischender Leichtigkeit verbindet sie Emotionen und Energie mit kreativen Lösungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Bayern, lacht gerne, liebt Ruhe, die „gute Schokolade“ und Aussichten mit Weitblick. Zudem ist sie unbeirrbare Idealistin – um in ihrem Leben etwas nachhaltig Positives zu erschaffen.
3 Gedanken zu “Empathie fürs Leben: Das solltest du nicht vergessen!”
Ich habe gerade den Artikel im FT über Ihre Arbeit gelesen und war … ja … was eigentlich? Begeistert, überrascht, genehm berührt, erfreut, … irgendwie wohl etwas von alldem.
Die Gedanken, die sich da offenbaren, habe ich schon lange „im Verdacht“.
Das Problem mit der „echten“ Empathie ist – dazu braucht es eine gefestigte Persönlichkeit, innere Balance, mentale Stärke. Nicht immer, aber oft. Fehlende Empathie hat nach meiner Erkenntnis viel mit Unsicherheit zu tun. Leider tut unsere Gesellschaft ja aber schon seit vielen Jahren alles, um diese Unsicherheit (teils sogar Unmündigkeit) zu fördern. Es würde den Rahmen hier sprengen, das ausführlich zu erörtern, aber all unser Denken und Tun wird doch in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt. Dummer Weise basiert dieses Weltbild aber eben auf genau diesem (steinzeitlichen) Gruppen- bzw. Sippen-Mechanismus. Wer so ist, wie ich (wer also zu meiner Sippe gehört), der ist gut. Dem will ich gefallen, mit dem will ich Zeit verbringen, den will ich um mich haben. Alle Anderen sind potenziell böse. Wie Sie ganz richtig feststellen, ist darüber hinaus Wissen oft durch die eigene Meinung ersetzt – genauso übrigens, wie Kausalität durch Korrelation ersetzt wird.
Ein äußerst fatales Weltbild – führt es doch zu diesem schwarz-/weiß-Denken, das so viel Unheil produziert. Dazu kommt eine gewisse, ebenfalls gesellschaftlich geförderte geistige Faulheit. All unser Streben ist körperlich orientiert. Ob das nun Religion, Sex, Reisen, die „Suche nach den Grenzen“, die Arbeit oder Freizeitgestaltung ist – attraktiv ist der „Macher“. „Denker“ werden als Langweiler, Waschlappen, oder Couch-Potatoes bezeichnet. Wenn sich nun also jemand zum Nachdenken entschließt, wird er recht bald ausgegrenzt, stigmatisiert. Das ist insbesondere deshalb schade, weil man nur durch Denken zu solchen – eher langfristig angelegten und oft auch altruistischen – Erkenntnissen kommt, dass eben nicht „Action“ um jeden Preis gut tut, manchmal ist es genau das Gegenteil.
Nein, ich habe durchaus nicht die Weisheit mit dem berühmten Löffel gefressen – es gibt sicher noch viele weitere Mechanismen. Ich freue mich aber, dass es Menschen gibt, die sich dieses Themas annehmen und es aktiv gestalten. Ich weiß, wie schwer das manchmal ist.
Hallo Klaus!
Ich freue mich über deinen Kommentar und danke dir für die Zeit, die du dir dafür genommen hast.
Deine Zeilen habe ich immer wieder gelesen. Auch ich verstehe Empathie als eine Haltung, die aus persönlicher Stärke, Ruhe und Verständnis genährt wird. Du sprichst die Unsicherheit an, mit der Empathie nicht gelingen kann. Auch das sehe ich so. Denn hinter Unsicherheit steht Angst; Angst verursacht Stress und Stress ist, wie im Artikel erwähnt, der größte Empathie-Killer! In meiner Vision begegnen wir uns mit Respekt, statt mit erlernter Höflichkeit. Wir lassen andere Meinungen gelten und zeigen echtes Interesse daran, wie eine konträre Meinung entstanden ist. Und dabei ist aus meiner Sicht wichtig, dass Verständnis nicht gleichzeitig auch bedeutet, einverstanden zu sein.
Ich werde mich weiter für die Empathie stark machen, mich selbst an ihr üben und versuchen, meinen Teil für ein empathisches Miteinander beizutragen.
Ich schicke herzliche Grüße nach Hirschaid!
Manuela
Vielen Dank für Ihre interessanten Gedanken zu diesem wichtigen Thema, das nahezu uns alle betrifft. Ja, Empathie bedeutet, die Gefühle jener Menschen zu erkennen und zu verstehen, mit denen wir es täglich zu tun haben. Nur so können wir angemessen darauf reagieren und handeln. Wer empathielos ist, hat oft wenig Einfühlungsvermögen für andere Menschen. In einer Beziehung kann das den Partner unter Umständen unglücklich machen. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe dafür, warum jemand empathielos ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man es trainieren kann, eine andere Person besser zu verstehen. Dabei geht es doch darum, das zu spüren, was der andere fühlt.
Jeder Mensch ist unterschiedlich, manche sind sehr sensibel und können sofort spüren, was in einem Gespräch in der Luft liegt. Andere sind da eher schwerfälliger und können sich nur sehr schwer, in andere Personen hineinzuversetzen. Wir haben uns schon oft Gedanken darübergemacht, was die Ursachen für diese Unterschiede sind.
Wer Empathie hat, der hat Mitgefühl für eine andere Person und wird auch als emotional intelligent bezeichnet. Ich versuche immer darauf zu achten, was mir mein Herz sagt bei einer Begegnung mit anderen Menschen. Wir alle begegnen häufig fremde Personen und oft ist es hilfreich zu spüren, was der andere fühlt und denkt. Wer dafür ein Gespür entwickelt räumt gewisse Missverständnisse vor vornherein aus.
Ich denke, wir alle besitzen die Fähigkeit der Empathie. Allerdings ist sie bei allen unterschiedlich stark vorhanden. Manche sind von Haus aus einfach begabter dafür und andere müssen sich das Wissen über die Empathie erst besser aneignen. Auf alle Fälle hilft Empathie dabei, Verständnis für eine andere Person zu entwickeln. Und das ist im Alltag sehr gut. Damit lassen sich viele Herausforderungen meistern und bewältigen.
Wir haben gelesen, dass neue Forschungen darauf hinweisen, dass Empathie und Mitgefühl gerade auch mit sich selbst und natürlich mit anderen Menschen Schlüsselfaktoren sind, um geistig gesund zu bleiben und sich selbst emotional wohlzufühlen. Achtsamkeit und Mitgefühl fehlen bei Menschen ohne Empathie
Wenn sie diese Fähigkeiten vernachlässigt haben, können sie sie kultivieren. Meist sind Menschen davon betroffen, die in erster Linie nur mit sich selbst beschäftigt sind. Ihnen fehlt oft der Blick hin zum Nächsten.